„Wenn alle zusammenarbeiten, kommen wir ans Ziel“
Die Mobilität ist der herausforderndste Bereich, wenn es um die Reduktion von CO2-Emissionen geht. Der Verkehr ist mit 40 Prozent der größte Verursacher. Das in diesem Jahr veröffentlichte „Mobilitätskonzept Vorarlberg 2019“ ist deshalb auch für die Energieautonomie von großer Bedeutung. Barbara Manhart und Jörg Zimmermann, beide Verkehrsplaner des Land Vorarlberg und Mitverfasser des Konzeptes, haben der Energieautonomie Vorarlberg dazu einige Fragen beantwortet.
Im Juli 2019 wurde das Mobilitätskonzept Vorarlberg 2019 nach eineinhalbjähriger Arbeit veröffentlicht. Wie können wir die Herangehensweise vorstellen?
Barbara Manhart: Ungefähr alle 10 bis 15 Jahre erstellt das Land ein neues Mobilitäts- oder Verkehrskonzept. Das letzte „Mobil im Ländle“ stammte aus dem Jahr 2006. In 10 bis 15 Jahren können sich Rahmenbedingungen wesentlich ändern – neue Technologien oder auch verändertes Mobilitätsverhalten erfordern dann eben ein neues, angepasstes und überarbeitetes Konzept.
Jörg Zimmermann: Unser Konzept ist bereits das vierte des Land Vorarlberg und baut auf dem 2006er auf. Wir haben die Maßnahmen von damals evaluiert und untersucht, wie sie in die heutige Welt der Mobilität passen und welche Herausforderungen neu dazugekommen sind. Drei Stichworte, die die neuen Herausforderungen zusammenfassen: Digitalisierung, Klimaschutz und Energie. In diesem Rahmen haben wir dann abgesteckt, wo das Land handeln kann und was wir primär in unserem Kompetenzbereich abdecken können. Wir haben auch überprüft wo wir wir auf andere Akteure – wie zum Beispiel den Bund – angewiesen sind.
Was konnte seit 2006 gut umgesetzt werden und wo haben sie noch Handlungsbedarf entdeckt?
Jörg Zimmermann: Besonders seit 2014, damals wurde das 365-Euro-Jahresticket eingeführt. Im Jahr 2018 verfügten bereits 73.000 Vorarlberger über diese Jahreskarte. In diesen Bereichen haben die Maßnahmen gefruchtet. Der Güterverkehr ist aber ein Punkt, in dem die Vorgaben nicht erreicht wurden.
Barbara Manhart: Eins der Defizite war auch der öffentliche, grenzüberschreitende Verkehr. Schweiz-Pendler sind schwer auf den öffentlichen Verkehr zu bringen. Teilweise aufgrund von Tarifhürden, teilweise aufgrund von Angebotslücken. Im neuen Mobilitätskonzept ist das ein Thema, das mit den Nachbarregionen vertiefend angegangen werden muss.
Ziel ist es, ein System zu schaffen, das die Mobilitätsbedürfnisse im Personenverkehr weitestgehend abdeckt.Barbara Manhart, Verkehrsplanerin Land Vorarlberg
Inwiefern haben sich die Ziele verändert?
Jörg Zimmermann: Der Klimaschutz, allem voran die Reduktion von CO2-Ausstößen, hat natürlich einen eindeutigen Einfluss auf die Zielsetzungen des neuen Konzeptes. Der Güterverkehr soll zum Beispiel 2030 nur mehr 100.000 Tonnen pro Jahr ausstoßen. Aktuell sind es 113.000 Tonnen. Beim Personenverkehr ist das Ziel eine Senkung von 443.000 auf 230.000 Tonnen pro Jahr. Beim öffentlichen Verkehr sollen unter anderem bis 2030 90 Prozent der eingesetzten Busse emissionsarm betrieben werden.
Barbara Manhart: Eine Reduktion der CO2-Ausstöße hängt wesentlich von zwei Punkten ab. Zum einen von der Verkehrsmittelwahl und dann noch davon welche Fahrzeuge dort eingesetzt werden. Sowohl bei privat Fahrzeugen als auch bei Fahrzeugen im öffentlichen Verkehr. Im Bereich Verkehrsmittelwahl haben wir klare Ziele festgelegt: 16 Prozent der Wege sollen mit Bus und Bahn, 21 Prozent mit dem Fahrrad, 18 Prozent zu Fuß, 9 Prozent als Mitfahrer erledigt werden. Der Wegeanteil von PKW-Lenker soll bis 2030 auf 34 Prozent reduziert werden.
Wie werden hier die Schwerpunkte gesetzt, wenn doch mittlerweile alle Bereiche des Lebens durch den Verkehr zusammenhängen?
Barbara Manhart: Alle Schwerpunkte müssen auch vernetzt gedacht werden und haben deshalb dieselbe Stoßrichtung: Verbesserung der Infrastruktur, des Angebots und die verbesserte Vernetzung der Angebote. Es geht darum den öffentlichen Verkehr und den Radverkehr so zu attraktiveren, dass die Abhängigkeit vom privaten Kraftfahrzeug verringert wird. Ein System zu schaffen, das die Mobilitätsbedürfnisse im Personenverkehr weitestgehend abdeckt. Die Infrastruktur ist dabei ein Bereich. Aber es muss zum Beispiel auch eine Karte, von Bus über Zug bis Car-Sharing, für die Personenmobilität geben. Hier übernehmen die Bahnhöfe eine zentrale Rolle als Mobilitätsdrehscheiben. Aber auch auf der Schiene soll das Angebot, in Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen, verbessert werden. Außerdem sollen mehr und schnellere Busverbindungen – zum Beispiel Expressbusse – geschaffen werden.
Jörg Zimmermann: Weitere Schwerpunkte liegen im Güterverkehr – wie kann dieser von der Straße auf die Schiene gebracht werden. Verkehrssicherheit ist ein weiterer Schwerpunkt. Die Abstimmung zwischen Siedlungs- und Betriebsgebieten mit der Verkehrsplanung und die Aufwertung von öffentlichem Raum in Zentren und Quartiere sind zwei Schwerpunkte, die durch gute Planung und Umsetzung wesentlich zu einer Verringerung beziehungsweise zu einer positiven Veränderung des Verkehrs beitragen können. Nicht vergessen werden dürfen die letzten zwei Schwerpunkte - das Intensivieren des Mobilitätsmanagement und die systematische Öffentlichkeitsarbeit. In beiden Punkten geht es um das Erreichen der Leute und in weiterer Folge um eine Änderung des Verkehrsverhalten.
Möchte man den Schritt vom Verkehrsverbund zum Mobilitätsverbund meistern, muss bereits fünfzehn Jahre weitergedacht werden. Denn Flächen müssen zum Beispiel jetzt schon gesichert werden.Jörg Zimermann, Verkehrsplaner Land Vorarlberg
Es sind 188 Maßnahmen von Ihnen ausgearbeitet worden. Was steht auf der Prioritätenliste ganz oben?
Barbara Manhart: Alle Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Ist kein Angebot da, wird es keine Nachfrage geben.
Jörg Zimmermann: Genau und wenn ich ein Angebot schaffen will, muss ich die Infrastruktur schaffen. Und es muss jetzt schon überlegt werden, wo es Möglichkeiten gibt, um eine erweiterte Schieneninfrastruktur zu schaffen. Möchte man den Schritt vom Verkehrsverbund zum Mobilitätsverbund meistern, muss bereits fünfzehn Jahre weitergedacht werden. Denn Flächen müssen zum Beispiel jetzt schon gesichert werden.
Die Umsetzung der Maßnahmen machbar oder utopisch?
Barbara Manhart: Das wird schon eine Herausforderung. Mit dem neuen Konzept sind die Zielvorgaben gestiegen und sollen dadurch auch beschleunigt werden. Die Kurve ist steiler geworden. Deshalb braucht es sicherlich mehr Anstrengungen, um diese zu erreichen.
Jörg Zimmermann: Der Erfolg des Konzepts fußt auf Zusammenarbeit. Wenn alle Zusammenhelfen, dann kann das funktionieren. Die Gemeinden sind hier sehr engagiert.
Barbara Manhart: Stimmt. Das Bewusstsein bei den Gemeinden ist ganz hoch. Das Land kann da noch einmal zusätzlich unterstützen, damit eine Erleichterung und Beschleunigung erzielt wird. Jeder, besonders aber die Verantwortungsträger und natürlich das Land Vorarlberg selbst, sollte Vorbild für den anderen sein.
Zum Abschluss – an welchen Stellen muss unbedingt noch nachjustiert werden?
Barbara Manhart: Ganz wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen im Bund passen und da muss das Land darauf achten, dass das Engagement im Bund im Bereich Verkehr wesentlich steigt. Die momentanen Rahmenbedingungen sind nicht ausreichend.
Jörg Zimmermann: Außerdem sollte Vorarlberg nicht isoliert gedacht werden – in keinem der Maßnahmenbereiche. Auch hier muss noch vernetzter gedacht werden.